ILU-Workshop: Brücken schlagen
Mit der Gründung der Koordinierungsstelle am Institut für Lebensmittel- und Umweltplanung (ILU) durch das Ministerium für Landwirtschaft, Umwelt und Klimaschutz des Landes Brandenburg (MLUK) ging ein klarer Auftrag einher: Es gilt, die Wissenschaft besser mit der Praxis zu verbinden, die Praxis mit der Wissenschaft. Insbesondere der Wissensfluss zwischen den landwirtschaftlichen Versuchsstellen und den Landwirtschaftsbetrieben muss verbessert werden. Wie dieser Transfer gelingt, dazu gibt es zahlreiche Ansätze und Techniken. Doch verbessern kann man sich immer. Deshalb veranstaltete die Koordinierungsstelle am ILU gemeinsam mit den Design-Thinking-Experten Matthias Lech und Ivana Jelic einen Workshop.
Brücken schlagen
Matthias Lech veranstaltete jahrelang als Projektmanager von Farm & Food 4.0 interaktive Austauschformate wie den gleichnamigen Kongress und die virtuellen Praxis-Talks, eine Online-Talkreihe zur nachhaltigen Transformation der Landwirtschaft. Einige dieser digitalen Talks entstanden gemeinsam mit der Koordinierungsstelle und waren Basis für ein co-creatives Experiment. Gemeinsam mit Ivana Jelic konzipierte er eine dreitägige Entdeckungsreise, die die Problemlösungsfähigkeiten der Teilnehmer schärfen und den Innovationsgeist fördern sollten. Der Titel des gemeinsamen Workshops: „Wie kann eine Brücke zwischen Wissenschaft und Praxis gelingen?“ Ziel war, im besten Falle, ein Format zu entwickeln, mit dem es gelingt, Wissen besonders effektiv zu transportieren. Der Weg dorthin nahm allerdings Umwege. Design Thinking nennt sich der Prozess, der sich der Fragestellung aus Nutzersicht nähert, und sich an die Lösung sozusagen anpirscht.
Wichtigstes Werkzeug des Design Thinking ist die Frage, also das wiederholte Fragen nach den Bedürfnissen desjenigen, dessen Lage sich verbessern soll. Die entscheidende Lösung, die am Ende vieles besser macht, schält sich somit im Idealfall wie von selbst heraus. Die Fragen nach dem Kern des Problems dienen dazu, Gedanken, Ideen, Wissen und Vorstellungen der Workshop-Teilnehmer zielsicher zu verdichten, hin zu einer wirklich guten Idee. Im Grunde will die Methode eine Lösung „designen“, für ein echtes Problem, eines echten Kunden, in sinnvoller Weise. Betrachtet man den Landwirt und die Landwirtin als Kunden, also ein durchaus sinniger Ansatz.
Die glorreichen Acht
Doch wo liegen die großen Probleme, die den Wissensfluss von Wissenschaft zu den Landwirten und Landwirtinnen hemmen? Das wollten acht Workshopteilnehmer herausfinden, die die Koordinierungsstelle am ILU und Matthias Lech in die ILU-Zweigstelle in Berlin eingeladen hatten.
Wichtig für ein Gelingen des Workshops war die Auswahl der Teilnehmer. Diese stammten aus unterschiedlichen Branchendisziplinen. So fanden sich Vertreter der Wissenschaft ein, wie Andreas Muskolus, Leiter der Versuchsstation IASP-Berge im Havelland, und Carolin Lenz, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Lehr- und Versuchsanstalt für Gartenbau und Arboristik (LVGA) in Großbeeren/Brandenburg. Dazu kam Kristin Klass, Projektmitarbeiterin bei der Koordinierungsstelle des Deutschen Verband für Landschaftspflege (DVL) Brandenburg/Berlin. Die Start-Up-Gründer Tim Gräsing und Marten Schmidt vertraten die Foodszene und Janina Löbel, Projektmanagerin bei der Wirtschaftsförderung Brandenburg (WFBB) eine der Vernetzungsstellen. Mit dabei natürlich auch zwei Mitarbeiter der Koordinierungsstelle, Julian Delbrügge und Maxie Grüter. Hintergrund: Je vielschichtiger das Workshop-Team, desto besser das Verständnis des Problems und die Möglichkeit nutzerzentrierte Lösungen zu entwickeln.
An diesem ersten Präsenztag sammelte die Runde nun viele Fragen, die sich alle auf den Grundauftrag bezogen: „Wie schaffen wir es, eine Brücke zwischen wissenschaftlichen Erkenntnissen und landwirtschaftlicher Praxis zu bauen?“ Es entstanden Fragen wie: Welchen Anreiz hätte ein Landwirt, eine solche Brücke zu überqueren? Was muss diese Brücke sein, eine Plattform, eine Methode und hat eine Landwirtin überhaupt Zeit, mit einem Wissenschaftler zu sprechen und wenn ja, was bekommt sie dafür – wichtige Erkenntnisse, einen finanziellen Ausgleich? Ist eine bestimmte Methode, eine bestimmte innere Haltung beider Seiten wichtig, um verständlich miteinander zu sprechen? Sollten einfache Wege gefunden werden, ist ein Mentor nötig, wollen Bauern überhaupt Neues erfahren und sind dafür Projekte und Förderwerkzeuge das richtige?
Erkenntnisse aus Interviews
Der nächste Tag brachte weitere Erkenntnisse: Zweier-Teams führten Gespräche mit Praktikern, in diesem Fall Landwirten, Landwirtinnen. Die Grundlage zu diesem Gespräch bildeten die zuvor entwickelten Fragen. All diese Interviews brachten Fakten, die man schon kannte, aber auch überraschende neue Sichtweisen auf die Landwirtschaft.
Daraus kreierten die Workshoper am dritten – komplett online gestalteten Workshoptag – eine „Persona“, also einen nichtrealen Landwirt und eine Landwirtin, als Stellvertreter und Archetyp für die gesamte Branche, mit bestimmten Eigenschaften: So nehmen die Teilnehmer Bauern und Bäuerinnen wahr, als Menschen, die gerne neue Idee ausprobieren und interessiert sind an wissenschaftlichem Fortschritt, technikbegeistert und Alleskönner sind und sich praxisbezogene Projekte wünschen und sich am Gelingen der eigenen Arbeit begeistern können. Zugleich sind sie aber auch genervt vom fehlenden Verständnis der Gesellschaft für den landwirtschaftlichen Alltag und empfinden den Dokumentationsaufwand beispielsweise für Umweltauflagen als Zeitfresser, der von der wichtigen Kernarbeit abhält.
Diese Zuschreibungen, beruhend auf den erarbeiteten und im Interview erfragten Fakten, führten wie Leitplanken zu einer entscheidenden Frage, der Wie-können-wir-Frage: Wie können wir dem Landwirt helfen, seine Ideen umzusetzen? Aus dieser Frage heraus entwickelten die Teilnehmer dann Lösungsansätze. Dabei wurde schnell deutlich: Landwirte haben zwar ein hohes Interesse an neuen Ideen und Informationen. Verfügen aber über wenig Zeit, sich damit tiefergehend zu beschäftigen. Zudem muss zwischen Wissenschaft und Praxis ein echtes, gleichberechtigtes partnerschaftliches Miteinander herrschen. Alle Beteiligten brauchen eine stabile Vertrauensbasis. Diese aufzubauen dauert. Außerdem darf der Bauer zu Recht erwarten, dass ihm die Zusammenarbeit einen Vorteil bringt und sich der Wissenschaftler genauso engagiert in die Arbeit stürzt wie er selbst.
Eine abschließende geniale Lösung entstand am Ende nicht – noch nicht. Denn das kann noch werden, schließlich nehmen alle Workshopteilnehmer die angestoßenen Denkprozesse mit in ihre tägliche Arbeit. Das Feedback eines Teilnehmers bestätigte dies: „Ich habe viel über mich selbst gelernt und das hat mich wirklich vorangebracht.“
Wertvolle war zudem: Es wurde deutlich, dass die Landwirte und Landwirtinnen mehr wollen, aber der Alltag dafür kaum Zeit lässt. Deswegen müssen Lösungen des Wissenstransfers möglichst simpel und schnell funktionieren, sollen den Landwirt bei seinen Ideen unterstützen und Arbeit abnehmen, beziehungsweise Zeit schenken und einen unübersehbaren Mehrwert bringen.
Somit. Packen wir es an.
Text: Julian Delbrügge (ILU)
Bilder: ©MatthiasLech